Schatzkammer der Umweltproben geöffnet
Genetische Analysen von Proben aus Umweltprobenbank starten – Umweltbundesamt fördert Projekt mit 1,2 Millionen Euro
Bei minus 150 Grad Celsius lagern hier mehr als 500.000 Momentaufnahmen: Die Umweltprobenbank des Bundes archiviert Proben aus verschiedenen Lebensräumen in ganz Deutschland. Seit den 1980er Jahren lassen sich aus ihnen Umweltveränderungen ablesen. Unter Federführung der Universität Duisburg-Essen (UDE) entwickeln Forscher*innen nun neue genetische Methoden, mit denen die Proben künftig noch mehr preisgeben sollen – zum Beispiel über das Insektensterben und neu einwandernde Arten. Beteiligt sind daran auch Forscher*innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK-F) in Frankfurt. Das Umweltbundesamt fördert das Projekt „TrenDNA“ mit 1,2 Millionen Euro.
Die Proben der Umweltprobenbank stammen aus Ökosystemen im Meer, im Süßwasser und an Land. Da sie über flüssigem Stickstoff bei ultratiefen Temperaturen lagern, bleibt sämtliche chemische und biologische Information erhalten, auch die Erbsubstanz. So lassen sich die Proben auch nach Jahrzehnten noch analysieren. Das neue Projekt „TrenDNA – Untersuchungen zur biologischen Vielfalt mit der Umweltprobenbank des Bundes“ will dieses Potenzial nun deutlich erweitern. Dazu arbeiten Forscher*innen der Universität Duisburg-Essen (UDE), der Universität Trier, der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung sowie des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME zusammen.
Hochdurchsatzsequenzierung ist das Stichwort, der Lebensraum Laubwald ein gutes Beispiel: Jedes Jahr werden an mehreren Standorten mehrere Kilogramm Laub tiefgekühlt, gemahlen und auf 200 Einzelproben verteilt in Stickstofftanks gelagert. Die dabei mitverarbeiteten Insekten, Spinnentiere, Pilze und Bakterien wurden bisher nicht beachtet, es interessierte vor allem die Schadstoffbelastung. Doch heute lassen sich aus diesem „Umwelt-DNA-Gemisch“ Marienkäfer, Blattwespe und alle weiteren Bewohner identifizieren: Wer bleibt, wer geht? Erste Studien deuten darauf hin, dass die Anzahl an Arten in Gebieten mit starkem menschlichen Einfluss in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat.
„Die Biodiversität verändert sich im Laufe der Zeit, wenn sich Umweltbedingungen oder menschliche Einflüsse verändern, zum Beispiel durch Klimaerwärmung oder Schwermetallbelastung“, sagt Prof. Dr. Miklós Bálint vom LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik, der außerdem am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt forscht und an der Justus-Liebig-Universität Gießen lehrt. „Wie sich die biologische Vielfalt angesichts solcher Veränderungen entwickelt, können wir nur mithilfe von Messreihen über längere Zeiträume einschätzen. Solche Daten sind allerdings extrem selten. Die Umweltprobenbank stellt daher eine einzigartige Quelle dar. Die Proben sind standardisiert gesammelt, gelagert und konserviert – sie eignen sich hervorragend für DNA-Analysen.“
Neue technische Möglichkeiten und hochgradig standardisierte Umweltproben erlauben einen genauen Blick auf Trends in der Entwicklung einzelner Populationen. Dafür hat sich das Team den Regenwurm als Modellorganismus vorgenommen: Nimmt die genetische Variation an belasteten Standorten ab? Gibt es mehr stressresistente Varianten? Hat sich die Darmflora der Regenwürmer verändert? „Unsere Analysen gehen aber weit darüber hinaus“, so UDE-Professor Florian Leese, Sprecher des Projekts. „Wir betreten Neuland, indem wir zeitliche Biodiversitätstrends umfassend betrachten: vom Boden über Felder und Wald bis zu Flüssen und Küsten.“
Zum Frankfurter Team um Miklós Bálint gehören auch Prof. Dr. Steffen Pauls (TBG, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, Justus-Liebig-Universität Gießen) und Prof. Dr. Markus Pfenninger (TBG, SBiK-F,Johannes Gutenberg-Universität Mainz). Sie analysieren, wie sich der Klimawandel und Schadstoffe über 25 Jahre auf das Erbgut von Regenwürmern ausgewirkt haben. Zudem nehmen sie genetische Veränderungen in Bodentiergemeinschaften und Insekten, die an und auf Bäumen leben, unter die Lupe.
„Wir werden die Erhebung von Biodiversitätsdaten nie dagewesener Breite aus der Umweltprobenbank standardisieren“, erklärt Jun.-Prof. Henrik Krehenwinkel, stellvertretender Projektsprecher aus Trier. „Denn nur mit verlässlichen Trendanalysen lassen sich frühzeitig Umweltprobleme erkennen und Maßnahmen ergreifen.“ Bis 2025 sollen die Methoden etabliert sein.
Das LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) bündelt Forscher*innen in Hessen, die die genetische Basis der biologischen Vielfalt untersuchen. Ziel ist es, die Erkenntnisse für gesellschaftliche Anliegen zu nutzen, etwa für den Naturschutz oder antivirale Strategien. Das Zentrum ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der Goethe-Universität Frankfurt, der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME. Finanziert wird es von der Hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE). Weitere Informationen: https://tbg.senckenberg.de/