Unterschätzte Gefahr: Schäden durch invasive Arten werden unterbewertet
Groß angelegte Befragung zeigt die Perspektiven verschiedener Interessengruppen auf eingewanderte Tiere und Pflanzen
In einer breit angelegten Befragung haben Forschende der Goethe-Universität und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt die Sichtweise und Wahrnehmung von Interessenvertreter*innen in Deutschland zum Thema invasive Arten untersucht. Die Ergebnisse der im Fachjournal „Biological Invasions“ erschienenen Studie zeigen, dass alle befragten Interessengruppen – von Umweltschutz-organisationen bis Landwirt*innen – die Verbreitung von invasiven Arten als Problem wahrnehmen und ein hohes Interesse an der Thematik haben. Der wirtschaftliche Schaden, den invasive Arten jährlich in Deutschland verursachen, sowie deren Vielfalt wurden aber in allen Gruppen deutlich unterschätzt.
Nilgans, Nutria, Waschbär – diese großen Tiere werden besonders häufig genannt, wenn man nach invasiven Arten fragt. Bei den Pflanzen stehen der Riesen-Bärenklau, das Drüsige Springkraut und der Japanische Staudenknöterich vorne auf der Bekanntheitsskala. „Wir haben in einer umfassenden Befragung die Kenntnisse zu invasiven Arten verschiedener Interessengruppen untersucht“, erklärt Dr. Matthias Kleespies, Erstautor der Studie von der Goethe-Universität und fährt fort: „In der Auswertung zeigt sich, dass vor allem große Säugetiere wie Nutria, Waschbär oder Marderhund wahrgenommen wurden, während kleinere Tiere und Pflanzen weniger oft bedacht wurden.“
Gemeinsam mit weiteren Forschenden der Goethe-Universität und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt hat Kleespies mittels einer nach sozialwissenschaftlichen Gütekriterien erstellten quantitativen Studie mehr als 2000 Personen aus neun unterschiedlichen Interessengruppen – Mitglieder von Umweltschutzorganisationen, Mitarbeitende des Ordnungsamts, Tierschützer*innen, Jäger*innen, Landwirt*innen, Mitglieder von Kleingartenvereinen, Taucher*innen, Mitarbeitende in zoologischen Gärten sowie Höhlenforschende – in Deutschland befragt. Die Studie analysiert die Schätzungen zur Anzahl invasiver Arten und den durch sie verursachten wirtschaftlichen Schäden. Außerdem wurde ermittelt, ob invasive Arten als Problem wahrgenommen werden, wie groß das Interesse an der Thematik ist und welche Arten am häufigsten genannt werden.
„Wir konnten anhand der von uns erhobenen Daten feststellen, dass innerhalb der Interessengruppen ein gutes Verständnis für die ungefähre Anzahl gebietsfremder Arten in Deutschland vorlag. Zudem war das Interesse an der Thematik groß und invasive Arten wurden als wichtiges Umweltproblem wahrgenommen,“ fasst Kleespies die Auswertung zusammen.
„Offenbar gibt es eine hohe Sensibilität für das Thema innerhalb der Interessengruppen und auch ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Verbreitung invasiver Arten. Der wirtschaftliche Schaden, den sie jährlich in Deutschland anrichten – ein dreistelliger Millionenbetrag –, wurde allerdings in allen Gruppen deutlich unterschätzt,“ fügt Prof. Dr. Sven Klimpel von der Goethe-Universität Frankfurt und dem Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum hinzu und erläutert: „Diese Unterbewertung deutet darauf hin, dass vielen der Befragten die tatsächlichen Auswirkungen invasiver Arten nicht vollständig bewusst sind. Das könnte zur Folge haben, das Präventions- und Managementmaßnahmen nicht rechtzeitig oder nicht in ausreichendem Maße ergriffen und unterstützt werden.“
Für den Umgang mit invasiven Arten und ihr Management kommt Interessengruppen und Entscheidungsträger*innen, der direkte Kontakt zu den Tieren oder Pflanzen haben, eine besondere Bedeutung zu. Darunter fallen beispielsweise Mitglieder von Jagverbänden, Landwirt*innen oder Umweltorganisationen, aber auch Personen in Behörden und der Verwaltung. „Diese Gruppen haben einen direkten Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung und den Umgang mit invasiven Arten oder sind sogar unmittelbar an Prävention oder Management beteiligt. Maßgeschneiderte Bildungsprogramme und gezielte Aufklärung könnten in Zukunft dazu beitragen, ein Bewusstsein für die ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen von invasiven Arten zu schärfen und mögliche Wissenslücken der Interessengruppen zu schließen. Zusätzlich bietet unsere Studie einen Anknüpfungspunkt für zukünftige Untersuchungen: So wäre es beispielsweise sinnvoll, die Sichtweise weiterer Interessengruppen und die der allgemeinen Bevölkerung miteinzubeziehen“, resümiert Klimpel.