Zukunftsfähige Unterstützung des Feldhamsters
Neues hessisches Kooperations- und Forschungsprojekt zur Erhaltung der bedrohten Art gestartet
Er zählt zu den am stärksten bedrohten Säugetierarten Westeuropas: der Feldhamster (Cricetus cricetus), auch Europäischer Hamster genannt. Einst als massenhaft auftretender „Erntevernichter“ und „Plage“ sowie für seine mehrfarbigen Felle intensiv gejagt, wird seit den 1970er-Jahren ein deutlicher Rückgang seiner Bestände verzeichnet. Ohne weitere Forschung und Erhaltungsmaßnahmen könnte der Feldhamster laut Prognosen in den kommenden rund zwanzig Jahren vollständig aussterben. Dies in Hessen zu verhindern ist das Ziel des neuen Projekts „MetaHamster“, das vor allem genomische Daten in den Blick nimmt und an dem Wissenschaftler*innen und Naturschutzakteur*innen verschiedener Institutionen, darunter der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-Zentrum TBG) in Frankfurt am Main, beteiligt sind. Das Projekt wird vom Land Hessen im Rahmen des Lore-Steubing-Instituts (LSI) für Naturschutz und Biodiversität des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) gefördert.
Für den Bestandsrückgang des ursprünglich sehr fortpflanzungsfreudigen Feldhamsters gibt es – trotz bisheriger Schutzmaßnahmen – viele Gründe: In erster Linie zählen vermutlich die industrielle Landwirtschaft, die intensive Bodenbearbeitung und die immer frühere Erntezeit dazu. Die massive Bebauung landwirtschaftlicher Flächen in den letzten Jahrzehnten verhindert zudem die Wanderung von Tieren und den Austausch vielfältigen Erbguts: In den isolierten kleinen Populationen kommt es zu Inzucht und dem Verlust genetischer Diversität. Gerade einmal zehn genetisch unterschiedliche Wildpopulationen gibt es aktuell noch in Hessen, in mehreren anderen deutschen Bundesländern sind die Nagetiere, die zwei bis drei Jahre alt werden können, bereits verschwunden. Mit ihnen geht ein wichtiger Helfer bei der Bodenumwälzung der Äcker verloren: Durch ihren unterirdischen Röhrenbau vermischen die bis zu 30 Zentimeter großen und 600 Gramm schweren Tiere den Erdboden und tragen damit zur Fruchtbarkeit der landwirtschaftlich genutzten Flächen bei.
Ein mehrstufig aufgebautes Projekt soll nun dazu beitragen, den Feldhamster in Hessen und anderen Regionen zu erhalten. Im Zentrum von „MetaHamster“ steht dabei die Auswertung und Nutzung genomischer Daten. Zunächst werden historische Belege aus den Sammlungen des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt gesichtet und aktuelle Proben der zehn verbliebenen Populationen zusammengestellt, die Einblick in das Erbgut der hessischen Tiere geben. Dafür sammeln Feldhamsterschützer*innen und Laienwissenschaftler*innen Haar- und Kotproben. Die Proben werden in eine Gendatenbank aufgenommen, die auch für künftige Erhaltungsmaßnahmen eine zentrale Informationsquelle bietet. Das LOEWE-Zentrum TBG analysiert darüber hinaus die Genome mehrerer Feldhamster erstmalig vollständig und nutzt sie für Erkenntnisse zum genetischen Zustand der Populationen. Abschließend ist geplant, ein sogenanntes Metapopulationsmodell zur erstellen, das Prognosen zur zukünftigen Erhaltung des Feldhamsters in Hessen und seiner genetischen Vielfalt unter Annahme verschiedener Szenarien, Maßnahmen und Entwicklungen ermöglicht. Dafür werden auch alle europäischen Zucht- und Wiederansiedlungsprojekte ausgewertet sowie bisherige Modelle zur Dynamik in Wildpopulationen einbezogen.
„Unser Ziel ist es, im Rahmen des Projekts ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept für die Erhaltung des Feldhamsters in Hessen zu entwickeln. Dabei wollen wir auf den bisherigen Initiativen des Feldhamsterschutzes aufbauen und zudem neue genomische Daten nutzen, aus denen sich viel über die Entwicklung und die Inzuchtbelastung jeder Population ablesen lässt“, berichtet Projektleiter Dr. Tobias Erik Reiners, Wissenschaftler am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt sowie am LOEWE-Zentrum TBG. „Eine wichtige Rolle für die Zukunft des Feldhamsters spielt seine verbliebene genetische Diversität, also die Vielfalt und Flexibilität im Erbgut, die der Art ihre Reproduktionsfähigkeit, eine gesunde Wiederausbreitung und Anpassungsfähigkeit in Zeiten des globalen Wandels ermöglicht“, fährt er fort.
Axel Janke, Professor für Vergleichende Genomik am LOEWE-Zentrum TBG, bei Senckenberg und der Goethe-Universität betont: „Die umfassende Sequenzierung von Feldhamstergenomen am LOEWE-Zentrum TBG fördert nicht nur das Verständnis genetischer Diversität für den Erhalt von Arten, sondern gibt auch wichtige Impulse für ein modernes Naturschutzmanagement, das genomische Daten zunehmend für passgenaue Erhaltungsstrategien nutzt. Dies konnten wir zum Beispiel schon bei Giraffen zeigen. Ich freue mich über die Förderung des neuen Projekts ‚MetaHamster‘, auch ganz persönlich: An einem meiner Arbeitsplätze, dem naturwissenschaftlichen Campus der Goethe-Universität im Frankfurter Stadtteil Riedberg, ist der Feldhamster mit der Entstehung des riesigen Neubaugebietes nämlich leider verschwunden.“
„Am Projekt hat uns vor allem die Relevanz für die Naturschutzpraxis überzeugt. Mit dem anpassbaren Modell, das mit den zusammengestellten Daten Entwicklungen für die nächsten zehn Jahre berechnen kann, sind praktische Handlungsempfehlungen, unter anderem an die ‚Lenkungsgruppe für Zucht und Wiederansiedlung des Feldhamsters in Hessen‘, für ein zukunftsfähiges genetisches Management dieser bedrohten Art möglich“, sagt Prof. Dr. Thomas Schmid, Präsident des HLNUG und Geschäftsführender Direktor des LSI.
Weiterer Projektpartner ist die Arbeitsgemeinschaft Feldhamsterschutz der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. (HGON). Ermöglicht wird das neue Projekt mit dem Titel „Genetisches Monitoring und Management für eine zukunftsfähige Metapopulation des Feldhamsters in Hessen (MetaHamster)“ durch eine vierjährige Förderung bis Mitte 2027 in Höhe von rund 165.000 Euro des HLNUG im Rahmen des LSI.
Informationen
https://www.hlnug.de/themen/naturschutz/lore-steubing-institut/projekte/feldhamster